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Liebe Leserinnen und Leser,

das erste wettbewerbliche Vergabeverfahren für Buslinien im Kreis Viersen hat einen Gewinner: Das mittelständische Busunternehmen KVS aus Schwalmtal wird im Sommer beide ausgeschriebenen Linienbündel übernehmen. Mit einem Gesamtvolumen von mehr als zwei Millionen Nutzwagenkilometern jährlich, über 50 einzusetzenden Bussen und einer Laufzeit von zehn Jahren handelt es sich um ein durchaus veritables Leistungspaket, dass sich die KVS sichern konnte.

Dabei waren die Leistungen nur sehr unfreiwillig überhaupt in die Vergabe gekommen. Der Kreis Viersen und seine Regiegesellschaft VKV waren ursprünglich davon ausgegangen, dass die Linien auch weiterhin durch die kommunalen Verkehrsunternehmen aus Mönchengladbach und Krefeld betrieben werden. Deren bisherige Zuständigkeit hat historische Gründe, gehen die betroffenen Buslinien doch auf frühere Straßenbahn- oder Kleinbahnlinien oder langlaufende Regionalbuslinien aus den Frühzeiten des Omnibusverkehrs zurück. Mit Gründung des VRR wurden Konzessionen oder zumindest die Betriebsführerschaft für die wenigen privat organisierten Buslinien bei den kommunalen Verkehrsunternehmen gebündelt, und so waren auch neue Linien stets auf kommunale oder Bahnbusbetriebe konzessioniert worden.

Um diesen Zustand auch im neuen EU-Marktregime abzusichern, wird im VRR flächendeckend mit dem Konstrukt der "Gruppe von Behörden" gearbeitet - damit hätten auch NEW und SWK ihre Linien im Kreis Viersen weiter betreiben können. Doch eine striktere Rechtsauffassung bei den kommunalen Unternehmen und ihren Beratern und wohl auch unterschiedliche Vorstellungen über die finanziellen Regelungen zwischen den Eigentümerkommunen Mönchengladbach und Krefeld einerseits und dem Kreis Viersen andererseits führten dazu, dass die vollständig auf Kreisgebiet verlaufenden Buslinien entgegen der ursprünglichen Erwartung nicht in die Direktvergaben an NEW und SWK einbezogen wurden.

Dem Kreis Viersen blieb nichts weiter übrig, als die Linien im Wege eines Wettbewerbsverfahrens an einen neuen Betreiber zu vergeben - mithin eine von bislang ganz wenigen wettbewerblichen Vergaben im gesamten VRR. Dass die KVS sich an der Ausschreibung beteiligen würde, galt unter Branchenkennern als gesetzt: Einen Großteil der Linien bedient das Unternehmen bereits heute im Auftrag von NEW und SWK, es hat einen modernen und großzügigen Betriebshof an günstiger Stelle im Bedienungsgebiet, und aus der Vergabe von Schülerverkehren kennt es europaweite Ausschreibungsverfahren und deren Ablauf. Ob und welche weiteren Bieter es auf die Ausschreibung gab, ist nicht bekannt, aber zwei Gruppen kommen wohl in Frage: Transdev ist in der Region mit seinem Betrieb Taeter aus Aachen in der Region aktiv, die Transdev-Schwestergesellschaft NIAG im benachbarten Kreis Kleve. Und DB Regio Bus mit der BVR ist ein etablierter Mitspieler im gesamten VRR wie auch explizit im Kreis Viersen, mit einem eigenen Standort in Viersen und einer vielfältigen Landschaft von Subunternehmern im Kreisgebiet.

Gleichwohl wäre es ordnungspolitisch geradezu irrwitzig gewesen, wenn die BVR die ausgeschriebenen Leistungen gewonnen hätte. Schließlich hat das Unternehmen alle Bestandslinien im Kreis wie im gesamten VRR per Unterschwellendirektvergabe wettbewerbsfrei zugesprochen bekommen - immerhin 39 Prozent aller Verkehre im Betrachtungsgebiet, die nicht in den Direktvergaben an die NEW enthalten sind. Schon so ist die Situation denkwürdig: Das Bahnbusunternehmen behält seine Verkehre auf Basis von Direktvergaben, während die bislang kommunalen Linien in den Wettbewerb gehen und nun beim Mittelstand gelandet sind.

Dass die KVS als Gewinner aus der Ausschreibung hervorgegangen ist, ist daher nicht nur ein Erfolg für das private Busgewerbe, sondern sichert für die kommenden zehn Jahre auch eine durchmischte Anbieterstruktur im Kreis Viersen. Die Übernahme der zehn Linien in Eigenregie ist für den Mittelständler gewiss eine Herausforderung. Angesichts der Kenntnis des Bedienungsgebiets und der bereits heute erreichten Betriebsgröße darf man aber getrost unterstellen, dass Elmar von der Forst und sein Team wohl in der Lage sein werden, eine zuverlässige Durchführung des Betriebs zu gewährleisten. Der Zeitraum von gut acht Monaten zwischen Zuschlagserteilung und Betriebsübernahme sollte ausreichend bemessen sein, um die erforderlichen Vorbereitungen zu treffen. Für die zusätzliche Herausforderung der Einführung von Elektrobussen auf der Linie 074 steht dann ein weiteres Jahr zur Verfügung - angesichts der besonderen Komplexität dieses Vorhabens sicher eine weise Entscheidung aller Beteiligten.

Reinbek, im März 2021

Manuel Bosch