Archiv  |  Editorial

 

 

Liebe Leserinnen und Leser,

seit Dezember 2009 gilt die EU-Verordnung 1370/2007, die die Vergabe und Finanzierung von öffentlich bezuschussten Nahverkehrsleis- tungen regelt, und seit bald zwei Jahren gibt es mit dem novellierten Personenbeförderungsgesetz einen entsprechend angepassten nationalen Rechtsrahmen. Die Organisation des Busverkehrs in Deutschland muss seither nach diesen beiden Normen ausgerichtet werden. Wohlweislich haben die meisten Städte die Möglichkeit genutzt, noch vor Inkrafttreten der EU-Verordnung Regelungen nach der vorherigen Rechtslage zu treffen.

So sind auch die Verkehrsunternehmen in Mönchengladbach und Viersen erst zum Jahr 2019 von den Neue- rungen betroffen - bis dahin gelten die sogenannten Bestandsbetrauungen. Für die Zeit ab 2019 ist es erklär- ter politischer Wille, eine Direktvergabe vorzunehmen. Damit muss sich die NEW nicht dem Wettbewerb stellen, sondern kann von den Städten Mönchengladbach und Viersen direkt beauftragt werden. Allerdings: Direktvergaben sind in der EU-Verordnung nur als Ausnahme von der Regel vorgesehen. Wann immer öffentli- che Mittel fließen, ist im Grundsatz ein wettbewerbliches Vergabeverfahren durchzuführen. Erst auf Druck aus Deutschland wurden Möglichkeiten zur Direktvergabe an kommunale Unternehmen aufgenommen.

Blick in die Historie: Bildband zur Tram
 
Neben dem Blick in die Zukunft lohnt oft auch ein Blick zurück in die Histo- rie. Dabei hilft das heuer erschienene Buch "Mit der Straßenbahn durchs Wirtschaftswunder", das den Straßenbahnbetrieb in Mönchengladbach, Rheydt und Viersen in den 1950er und 1960er Jahren in sehenswerten Fotos dokumentiert. Vergleichsbilder aus heutiger Zeit zeigen, wie sich die Städte in über 50 Jahren verändert haben. Allerdings sind auch viele Übereinstimmungen auszumachen - bis hin zu seit- her unveränderten Linienführungen, die an mancher Stelle die Notwendigkeit eines neuen Nahverkehrs- plans nur unterstreichen. Das Buch ist unter der ISBN 978-3-937189-80-2 bei DGEG Medien erschienen und für 27,80 EUR erhältlich.
 


















 
Gerade vor diesem Hintergrund ist eine Direktvergabe kein Grund zur Nachlässig- keit - weder für die Städte als Aufgabenträger noch für die Verkehrsunternehmen. Die EU-Verordnung stellt strenge Anforderungen an eine Direktvergabe. Schon das Unternehmenskonstrukt der NEW ist auf die Erfüllung der EU-Vorgaben zu prüfen. Vor allem müssen aber die künftigen Finanzierungsstrukturen zwischen Stadt und NEW auf die Forderungen der Verordnung angepasst werden. Zu klären ist auch, ob die NEW ihre vollständig außerhalb Mönchengladbachs verlaufenden Linien im Kreis Viersen und im Rhein-Kreis Neuss weiterbetreiben kann - die Voraussetzung dafür soll mit einem Rechtskonstrukt über den Verkehrsverbund Rhein-Ruhr ge- schaffen werden. Zeitlicher Vorlauf ist bei alledem ebenfalls einzuplanen: Für die Ankündigung und den Vollzug der Vergabe gelten genaue Fristen, so dass eine Entscheidung des Stadtrats bereits im Jahr 2017 erforderlich wird.

Insofern ist es richtig, dass Politik und Verwaltung die Direktvergabe schon jetzt thematisieren. Die teils in den Medien veröffentlichten Szenarien, alternativ zu einer Direktvergabe würden sich ausländische Anbieter die Rosinenstrecken he- raussuchen und nur den unwirtschaftlichen Rest bei der Stadt belassen, entbeh- ren allerdings jeder Grundlage. Auch bei einer Ausschreibung des Busverkehrs hätte die Stadt als Aufgabenträger alle Möglichkeiten, das Fahrplanangebot und die Qualitätsstandards vorzugeben. Der künftige Betreiber würde im weitreichends- ten Fall nur Busse und Fahrpersonal bereitstellen, um auf dem von der Stadt geplanten Liniennetz zu fahren.

Vor allem im europäischen Ausland, aber auch in einigen deutschen Regionen lässt sich beobachten, dass dieses Modell nicht unbedingt schlecht für Angebot und Kosten des Busverkehrs sein muss. Unbestritten bleibt der Einfluss der Stadt auf ihr eigenes kommunales Verkehrsunternehmen aber ein Faustpfand. Und die Auflösung des Busbetriebs der NEW mit allen Fahrzeugen und Immobilien - und möglicherweise auch Fahr- personal, sofern es nicht vom neuen Betreiber weiterbeschäftigt würde - wäre gewiss nicht im Interesse der Stadt.

Somit sind die Beteiligten gut beraten, sich auf die beabsichtigte Direktvergabe rechtzeitig vorzubereiten. Ein wesentlicher Schritt auf dem Weg dorthin ist die Fortschreibung des Nahverkehrsplans, der als Grundlage für die Direktvergabe dienen kann. Schon seit 2010 ist das Werk, dessen Erstauflage im Jahr 1997 erschien, in Arbeit. Nicht nur angesichts des Verbesserungspotenzials im Angebot, sondern bald auch zur Vorbereitung der Direktvergabe drängt die Zeit.

Leinfelden-Echterdingen, im November 2014

Manuel Bosch