Archiv  |  Editorial

 

 

Liebe Leserinnen und Leser,

Mitte Juni veröffentlichte die Stadtverwaltung eine Pressemitteilung mit der Überschrift "Mönchengladbacher bevorzugen das Auto". Darin wurden die Ergebnisse einer Haushaltsbefragung mitgeteilt: 61,5 Prozent aller Wege in Mönchengladbach werden mit dem Auto zurückgelegt, während der Nahverkehr nur auf einen Anteil von 17,2 Prozent kommt. Zwar konnte der ÖPNV seinen Anteil seit 1996 um drei Prozentpunkte steigern, aber der Autoverkehr nahm im selben Zeitraum um fast fünf Prozentpunkte zu - dementsprechend waren die Anteile sowohl des Rad- als auch des Fußverkehrs deutlich rückläufig.

Steigerung beim Auto, Rückgang bei Rad- und Fußverkehr: Diese Entwicklung ist gegenläufig zum bundes- weiten Trend, und damit schneidet Mönchengladbach auch im Städtevergleich schlecht ab. In keiner ver- gleichbaren Stadt ist der Anteil des Autoverkehrs so hoch - Oberhausen liegt mit 56 Prozent schon deutlich vor Mönchengladbach, Krefeld und Aachen kommen auf 51 Prozent. Allerdings liegt der Anteil des ÖPNV in diesen drei Städten auf gleichem Niveau wie in Mönchengladbach, während Rad- und Fußverkehr dort höhere Anteile erreichen.

Urbino für die NEW in der "New York Times"
 
Im Juli erhielt die NEW ihre diesjährigen Neufahrzeu- ge vom polnischen Hersteller Solaris. Kurz zuvor schafften es die Mönchengladbacher Busse in die bedeutende amerikanische Tageszeitung "The New York Times". Das Blatt berichtete über die polnische Wirtschaft und befasste sich dafür exemplarisch mit dem Busbauer Solaris. Der Redakteur war just dann zu Gast im Werk in Bolechowo, als die neuen Busse für Mönchengladbach fertiggestellt waren - und so findet sogar die neue Lackierung der NEW Erwäh- nung: "A rainbow of shiny new buses awaiting road tests at the headquarters of Solaris Bus and Coach in Bolechowo, just outside the city, tells the tale of export success. White and hot pink buses are bound for Mönchengladbach in Germany, blue and white for Vasteras in Sweden, yellow for Aarhus in Denmark."
 
















 
Wer sich einmal - abseits der Hindenburgstraße - zu Fuß durch Mönchenglad- bach bewegt, der wird das Ergebnis nachvollziehen können. Auch wenn das einstige verkehrspolitische Ideal der "autogerechten Stadt" eigentlich lange über- holt ist, fühlt man sich als Fußgänger vielerorts unwohl. Fahrende Autos auf mehreren Fahrspuren, parkende Autos überall im Stadtbild, umwegige Fußwege und lange Rotphasen: Die Prioritäten der Aufteilung des Verkehrsraums sind eindeutig. Diese Verkehrspolitik spiegeln dann auch weitere Pressemitteilungen der Stadtverwaltung: Nur drei Wochen nach der oben zitierten Meldung folgte die Mitteilung "Stadt investiert in Um- und Ausbau von Straßen", die Maßnahmen mit einem Volumen von mehr als 14 Millionen Euro auflistete - nicht zum ersten Mal in den vergangenen Monaten und Jahren. Geradezu logische Folge: "Mehr Neuzu- lassungen in 2011" lautete die Überschrift einer Mitteilung zum Jahresbeginn, demnach wurden in Mönchengladbach im Jahr 2011 rund 13 Prozent mehr PKW neu zugelassen als im Jahr zuvor.

Ein schlechtes Klima für den Rad- und Fußverkehr ist auch schlecht für den Nah- verkehr. Wie die aktuellen Auswertungen zeigen, stehen geringe Anteile im Rad- und Fußverkehr mit hohen Anteilen des Autos in direktem Zusammenhang. Wenn man sich auf dem Fahrrad oder zu Fuß unwohl fühlt, sitzt man schnell im eigenen Auto. Und alleine der Weg zur und von der Haltestelle zur Nutzung des Nahverkehrs bedingt einen gewissen Fußweg - sind Fußwege unattraktiv, leidet auch der Nahverkehr darunter. Der Anstieg des Nahverkehrsanteils um drei Prozentpunkte seit 1996 erscheint unter diesen Umständen, aber auch angesichts des kaum verbesserten Angebots im Busverkehr schon fast als Erfolg - wobei ein Teil des Anstiegs auf den Schülerverkehr und die Effekte des SchokoTickets zurückzuführen sein dürfte und weniger auf den Berufsverkehr.

Nahezu zeitgleich zur Mönchengladbacher Pressemitteilung veröffentlichte das Magazin "WirtschaftsWoche" eine Studie zur Nachhaltigkeit der 50 größten deutschen Städte. Im Gesamtranking erreicht Mönchenglad- bach Platz 45 - dass die oben genannten Vergleichsstädte Krefeld und Oberhausen mit den Plätzen 47 und 49 genauso schlecht abschneiden, erscheint da nicht einmal als schwacher Trost. Das Gesamtranking der Studie setzte sich aus sechs Teilrankings zusammen, von denen das Ergebnis im Teilranking Energie & Verkehr noch miserabler ist: Mönchengladbach bildet hier das Schlusslicht aller 50 betrachteten Städte. Im Bereich Energie & Verkehr wurden unter anderem Kennzahlen zum Verkehr in der Stadt und die Anbindung an den Fernverkehr, aber auch Energieerzeugung und Verbrauch sowie Fördermittel für die Gebäudesanierung betrachtet. In den übrigen fünf Teilrankings landet Mönchengladbach immerhin nur noch einmal unter den letzten 15 Städten und liegt ansonsten im Mittelfeld.

Diese aktuellen Ergebnisse zeigen einmal mehr den dringenden Handlungsbedarf für die Mönchengladbacher Verkehrspolitik auf. Insofern darf der in Erarbeitung befindliche neue Nahverkehrsplan mit Spannung erwartet werden. Dieses Instrument muss die Grundlage für eine Attraktivitätssteigerung des Nahverkehrs in Mönchengladbach legen. Das bloße Erarbeiten von Dokumenten wie Verkehrsentwicklungs- plan und Nahverkehrsplan reicht allerdings nicht aus: Anschließend ist eine Umsetzung der aufgestellten Maßnahmen umso wichtiger, wenn die Dominanz des Autoverkehrs in der Stadt aufgebrochen werden soll. Das erfordert nicht nur Investitionen abseits des Straßen- baus, sondern vor allem einen entsprechenden politischen Willen.

Leinfelden-Echterdingen, im August 2012

Manuel Bosch